Von Rainer Holtorff

1.-6. August 2016

Es kommt vor, dass man warten muss, obwohl man mit einem Schiffchen auf der großen See fahren möchte. Das ist für manchen nicht leicht zu verstehen; Flugzeuge fliegen ja auch immer. So auch Anfang August, als wir mit einer werftneuen Scalar 34 C in den Süden Portugals aufbrechen wollten.

Die Scalar ist ein Juwel. Der Rumpf ist aus GFK, aber Inneneinrichtung und Aufbau sind aus Holz, in feinster Bootsbauerkunst verarbeitet. Das geballte Know-How der traditionsreichen Henningsen und Steckmest-Werft  aus Kappeln steckt in diesem Langkieler. Was für ein Privileg, sie auf ihrer ersten großen Reise segeln zu dürfen.

Der Törn soll von Brunsbüttel an die Algarve gehen. Wir hatten ausgemacht die Abfahrt hinauszuzögern, falls es zum Zeitpunkt kein geeignetes Wetterfenster geben würde. Leider sah die Großwetterlage nun so aus, dass man befürchten konnte, es würde sich in diesem Sommer überhaupt nicht mehr öffnen: Seit Wochen reihte sich ein Tief an das nächste und der Ostwind war nur noch eine blasse Erinnerung von Anfang Juni.

Oliver, Neueigner der Scalar und mein Segelpartner, drängte darauf loszufahren, allem Gegenwind zum Trotz. Wie kann man bei solchen Aussichten auch sonst reagieren? Wie loskommen aus der Deutschen Bucht?

Die Alternativroute über Schottland kam uns in den Sinn. Warum machen wir es nicht wie die Frachtsegler früher, die oft den Kurs nach Norden absteckten, nachdem sie bei Südwest aus der Elbe herausgekommen waren. Wir müssen ja nicht unbedingt um Schottland herum segeln, wir könnten ja auch den Caledonian Channel befahren…

Leider war aber auch dieser Plan nicht zu halten, denn von Westen war mit den Rückseiten der Tiefs neben viel Südwest und West auch immer wieder stürmischer Nordwestwind zu erwarten gewesen.

Was also tun? Oliver, der zeitlich nach hinten nicht viel Luft hatte, wollte irgendwie los, zur Not in kleinen Abschnitten. Ich hatte bei dem Gedanken Bauchschmerzen, denn die Erfahrung nicht wirklich voranzukommen, weil die Großwetterlage es nicht zulässt, habe ich oft genug gemacht. Oliver kam dann auf die Idee, dass man ja auch die „Staande Mastroute“ fahren könnte. Ich kannte sie nicht, wusste nur, dass sie irgendwie über Kanäle und Seen durch den Norden von Holland führt und für Schiffe bis etwa 2 Meter Tiefgang passierbar ist.

Ich bin Seesegler, also nicht See-Segler, deshalb war ich anfangs skeptisch. Aber die Crevette hat einen Tiefgang von 1,80 m und es gab ein Wetterfenster, in dem wir es von Brunsbüttel nach Borkum schaffen konnten. Von dort, aus dem Fluss Ems, genauer aus Delfzjl würde die Stehende Mastroute losgehen – warum also nicht?

Von Cuxhaven brauchten wir eine Nacht und einen Tag bis Borkum. Am nächsten Morgen kreuzten wir im Regen die Ems hinauf und schleusten in Delfzjl in den Emskanal, zusammen mit ein paar anderen Yachten. Von dort ging die Reise unter Motor durch den Kanal gen Westen. Manchmal mussten wir vor Brücken Gas geben oder vom Gas gehen; mitunter auch ein paar Kreise drehen und warten, aber dann wurde uns geöffnet.

Am Nachmittag erreichten wir Groningen. Die Route verläuft hier mitten durch die Altstadt. Wenn man vor einer Brücke warten muss, kann man bei Wind schon mal auf Drift gehen; man hat sein Schiff also besser im Griff, um dann die richtigen Schritte einzuleiten. In Groningen, wie auch in anderen Orten ist ein Brückenwärter für mehrere Brücken zuständig. Wenn man eine Brücke durchfahren hat, muss man warten, bis er diese hinter dem letzten Boot geschlossen hat, auf sein Fahrrad gesprungen und zur nächsten geradelt ist. Bei einer dieser Öffnungen wird einem ein an einer Angel baumelnder Holzschuh entgegengehalten – für das Brückengeld. Mehr Holland geht irgendwie nicht und die Altstadt wirkt vom Wasser aus überaus einladend – nur nicht wenn man zügig nach Portugal möchte. Solche Kandidaten wie wir sollten beachten, dass es gegen Mittag eine Brückenpause gibt, meist eine Stunde, von zwölf bis eins.

Den ganzen Nachmittag tuckerten wir an Weiden, Kühen und Schilfufern entlang gen Westen. Am Abend schafften wir es dann noch bis in die benachbarte Provinz Friesland. Genauer bis nach Zoutkamp, dann war Brücken-Feierabend, der durch zwei rote Lichter angezeigt wird. Zoutkamp ist eine ehemalige Renaissance-Festung, die an einen Nationalpark grenzt. Ein pittoresker Hafen, in dem man keine Gefahr läuft, zu spät in die Koje zu kommen. 

Am nächsten Tag schleusten wir früh ins Lauwersmeer, ein eingedeichtes Binnenmeer südlich der Nordseeinsel Schiermonnikoog. Hierin verläuft die Route ein Stück gen Norden. Im Lauwersmeer sollte man sich an die Mitte des Fahrwassers halten; hier haben wir die niedrigsten Wassertiefen gelotet. Die Route biegt wieder nach Südwesten ab, verläuft durchs Dokkumer Diep zu einer weiteren Schleusung und dann in Richtung des Städtchens Dokkum.

Das alles dauert ein bisschen; immer wieder kommen Brücken, vor denen man vom Gas gehen oder Gas geben muss. Mitunter hilft es auch über UKW-Funk Bescheid zu sagen, ehe ein grün-rotes Signal anzeigt, dass man gesehen oder gehört wurde und mit einer Öffnung rechnen kann.

Nach Dokkum ging es durch die Kanäle, an Wiesen, Höfen, Dörfern und Anlegestellen entlang, immer weiter durch diese ganz eigene Wasserwelt, die einem da begegnet.

Am Abend des zweiten Tages schafften wir es noch bis nach Leeuwarden,  ehe dort die Brücken für die Nacht geschlossen wurden. Ich bin zwar zu Leeuwarden gekommen, wie die Jungfrau zum Kinde, musste aber feststellen, dass die Hauptstadt Frieslands eine echte Perle ist. So bringt die Staande Mastroute einem Seemann ganz nebenbei die Schönheit des Binnenlandes nahe, und das sogar noch auf einem Schiff.